Regelmäßig sprechen mich fremde Leute auf der Straße an: “Entschuldigen Sie, wie ist es mit einem Elektroauto in die Normandie zu fahren?” Ihnen widme ich das nachfolgende Kurzreview.
Hinkommen
Bekanntermaßen haben Elektroautos noch eine ungewohnt kurze Reichweite. In meinem Fall sind es realistische 200 Kilometer. Es stand also ziemlich schnell fest, dass ich während meines Urlaubes zwischenladen werden muss und das schon auf dem Hinweg – zweimal. Deshalb entschied ich mich dazu, die Anfahrt auf zwei Tagestouren aufzuteilen und auf halber Strecke in Lille zu übernachten. So wurde nicht nur die Zeit pro Tag im Auto reduziert, ich bekam auch endlich die Möglichkeit, eine sehr gesellige Stadt, die ich sonst immer nur als Transfer genutzt hatte, selbst zu entdecken. Wann habt ihr das letzte Mal eine Tagestour bewusst aufgeteilt, um auf dem Weg noch Unbekanntes zu entdecken? Es lohnt sich! –– Vielleicht spricht da aber auch nur das Stockholmsyndrom eines Elektroautofahrers aus mir. Die erste Etappe war jedenfalls ein voller Erfolg und dank einer guten Auswahl von Schnellladern im EnBW-Roamingnetzwerk und frei verfügbaren Tesla Superchargern in Autobahnnähe leichtes Spiel.
Achso, stimmt. Meine hier geschilderten Erfahrungen beruhen vollständig auf den Einsatz der mobility+-App von EnBW bzw. passender Ladekarte und der Tesla-App. Vielleicht hätte ich mir ein paar der noch folgenden Probleme ersparen können, hätte ich auf ein komplettes Chargemap-ABRP-Portfolio gesetzt. Allerdings hatte ich Urlaub und war nicht wegen des Autos losgefahren.
Für die erste Nacht buchte ich eine Location mit Lademöglichkeit, sodass die zweite Etappe genauso bequem hätte werden können.
Ankommen
Mein erstes Ziel innerhalb der Normandie war Le Havre. Mit komfortablen 30 Kilometern Restreichweite, erreichte ich meine Urlaubsregion. Da ich die kommende Nacht nur an einer Straße parken konnte, musste eine Ladesäule her, bevor ich mich dem Überfluss Le Havres hingeben konnte. Per App identifizierte ich mehrere verfügbare Ladesäulen in einem Parkhaus der EFFIA Stationnement in Promenadennähe. Leider sollte ich die Säulen niemals finden. 20 Kilometer. Nach mehreren erfolglosen Durchfahrten des Parkhauses entschied ich mich, ein benachbartes EFFIA-Parkhaus zu probieren, in dem ebenfalls mehrere Lademöglichkeiten existieren sollte und wurde tatsächlich fündig. Zwei unbenutzte Typ 2-Wallboxen sollten den Durst nach feinstem französischen Atomstrom langsam, aber beständig stillen, bevor es der Durst nach einem Kaltgetränk ihm gleich tun sollte. Leider waren sie beide zugeparkt.
Scheinbar dürfen Elektroautos in Frankreich auch ohne zu laden an Ladesäulen stehen –– Zumindest wird es häufig gemacht. Glücklicherweise sollte mich das jedoch nur zwei Mal vor ein Problem stellen, da sonst immer eine Möglichkeit bestand, mit einem langen Kabel doch noch die Ladeports zu verbinden. Allerdings ist die Enttäuschung, eine laut App freie Ladesäule anzunavigieren, nur um sie zugeparkt vorzufinden, nicht zu vernachlässigen.
Anschließend versucht ich mich noch erfolglos mit einer weiteren Wallbox innerhalb des Parkhauses zu verbinden. Zugegebenermaßen könnte hier menschliches Versagen die Schuld treffen – Stichwort Geduld – , doch dazu komme ich später noch. 10 Kilometer. Ich verlasse also auch dieses Parkhaus mit dem Ziel eine Schnellladesäule anzufahren, die mich während der Reise noch nicht enttäuscht haben. Am Ausgang entdecke ich noch eine öffentliche Ladesäule der Stadt, deren zweiter, freier Port allerdings gerade nicht in Betrieb war. Mit nunmehr ausgeschalteter Klimaanlage und gemächlichem Tempo erreiche ich den Ladepunkt von stations-e und das leise Surren der Verriegelung des CCS-Steckers, besiegelt das Ende dieser, mit Abstand schlimmsten Ladeodyssee, die ich bisher erleben musste.
Rumkommen
Die darauffolgenden Tage waren an Problemlosigkeit kaum zu überbieten. Le Havre bietet einen guten Ausgangspunkt für Tagestouren unter 200 Kilometern. Muss man am Besuchsort nicht immer direkt am Meer parken, findet man per App immer eine freie Ladesäule der regionalen Energieversorger, Syndicat Départemental d’Énergie – kurz SDE, die einem mögliche Parkgebühren erspart und gleichzeitig günstig den Akku wieder volllädt. Empfehlenswert ist jedoch ein abgeschlossenes Studium angewandter Elektroautoführerschaft mit mindestens einem Semester Ladepraxis, denn die unbeschrifteten Ladesäulen mit aussagelosen LED-Statusanzeigen bedurften etwas Übung. Da ich diese Ausbildung nun erfolgreich durchlaufen habe, möchte ich im Folgenden kurz meine Erfahrungen teilen:
Die goldene Regel an französischen Ladesäulen sollte immer Geduld lauten. Da die Kommunikationswege offenbar über das Heimatland des Roaming-Ladeanbieter führen, kann von Anfrage zur Freischaltung einer Ladesäule, sei es per App oder per Ladekarte, schon einmal eine Minuten vergehen, in der die LED-Statusleuchte nichts-sagend, aber beständig vor sich hin blinkt. Versucht man währenddessen ungeduldig, den Prozess auf irgendeine Weise zu beschleunigen, endet der Versuch in einem andersartigen Blinken der Status-LED, aber nie in einer Freischaltung. Deshalb möchte ich noch einmal ausdrücklich an die Geduld appellieren, die schlussendlich eine Schutztür entriegelt, die meist ein Doppelpack von Ladeports freigibt. Ein Ladeport ist dabei immer eine handelsübliche Haushaltssteckdose, an der im Zweifel mit bis zu 3,7 kW geladen werden kann. Der zweite und spannendere Port ist immer ein Stecker für die Ladung von Elektrofahrzeugen. Die verallgemeinernde Umschreibung lässt schon darauf schließen, dass es sich dabei nicht immer um allseits bekannten Typ 2 handelt. In Frankreich und Italien ist auch der Typ 3-Standard weit verbreitet, sodass eine Ladesäule meist auch diesen anbietet. Im Umkehrschluss bedeutet das jedoch auch, dass an einer 2-Doppelport-Ladesäule, mit bereits einem belegten Steckplatz, die freien entweder Schuko und Typ 2 oder Schuko und Typ 3 sind. Leider bietet mobility+ keinen Einblick in die Art der Belegung einer Ladesäule, sodass sich Schrödingers Ladeport erst bei individueller Inspektion offenbart. Egal für welchen Standard man sich letztendlich entscheidet, darf man nicht vergessen, die Schutztür wieder zu schließen, da sonst der Ladevorgang nicht gestartet wird. Aufmerksamen Beobachtern wird dieser Hinweis aber auch durch die abermals anders blinkende LED gegeben. Zum Beenden des Ladevorgangs ist dann wieder Geduld angesagt und man folgt der nun bekannten Vorgehensweise. Neben den kostenpflichtigen, öffentlichen Ladepunkten sei jedoch auch empfohlen, die Augen bei den diversen Hypermarché-Ketten aufzuhalten, da diese zum Teil kostenloses Laden während des Einkaufs anbieten und durch integrierte Ladekabel keine Auseinandersetzung mit Buchung und Bedienung voraussetzen.
Wegkommen
Irgendwann neigt sich jedoch jeder Urlaub einem Ende und meine Heimfahrt stand an. Mit vollem Akku gestartet, war die Wahrscheinlichkeit, innerhalb des sich rund 350 Kilometer weit erstreckenden Gebiets nachladen zu müssen, sehr hoch. Leider verteilen sich gerade einmal zwei Dutzend Schnellladeplätze von Ionity und Total über die gesamte Normandie, was ein wartefreien Ladestop während der Haupturlaubszeit zum Glücksspiel machen dürfte. Da mein Urlaub jedoch noch vor Beginn der französischen Sommerferien stattfand, sollte auch dieses Schnellladekapitel keine Überraschungen für mich bereithalten. Einmal angesteckt, kann mit bis zu 475 kW-Ladeleistung gerechnet werden, sodass die zügige Weiterfahrt gesichert ist.
Wiederkommen
Machen wir uns nichts vor: Ein Roadtrip mit einem Elektroauto mit beschränkter Reichweite ist gänzliche ohne Planung noch nicht möglich. Allerdings soll dieser, aus dramaturgischen Zwecken, an manchen Stellen überspitzt formulierte Artikel nicht suggerieren, dass ein solcher Urlaub in der Normandie keine Erholung bieten könnte. Die Aufwand der Vorbereitung entsprach einer normalen Fernfahrt mit einem Elektroauto und sollte jedem Fahrer vertraut sein. Die anfänglichen Hürden unbekannter Ladesäulen kennt man bereits vom Besuch einer Nachbarstadt und können durch einen entspannten Umgang überwunden werden. Und letztendlich geht es genau darum bei einem Urlaub: Entspannung und Gelassenheit und davon hat die abwechslungsreiche Küstenregion reichlich zu bieten. Trotz noch vereinzelt vorhandener Überraschungen, entschleunigt ein Urlaub mit Elektroauto ungemein. Der Weg wird zum Ziel und regt zum Entdecken an. Trotz verringerter Reichweite vergrößerte sich mein Aktionsradius, da das schlechte Gewissen, die wunderschöne Region mit lokalen Emissionen zu belästigen, verringert wurde, und das Portemonnaie dank günstiger Ladekonditionen es zuließ. Die Normandie eignet sich daher als hervorragendes Reiseziel für ambitionierte Elektroautoeinsteiger, ist aber auch für alle anderen ein Besuch wert.
“Würden Sie auch wieder hinfahren, wenn Sie die freie Wahl hätten?”, lautet oft die letzte Frage der Unbekannten auf der Straße und ich kann sie jedes Mal mit “Auf jeden Fall!” beantworten.